«KI wird die Ingenieurarbeit nicht ersetzen – aber sie wird sie verändern»
An der Swiss Plastics Expo zeigt Prof. Dr. Mario Studer vom IWK Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung in einem Referat, wie eine durchgängige Simulationskette die Entwicklung von Spritzgiessbauteilen effizienter macht. Im Gespräch blickt er auf sein Referat voraus und erklärt, weshalb Künstliche Intelligenz in der Kunststofftechnik immer wichtiger wird.
Herr Prof. Dr. Studer, an der Swiss Plastics Expo halten Sie ein Referat zum Thema «Durchgängige Simulationskette bei der Auslegung von Spritzgiessbauteilen». Was dürfen die Besuchenden von Ihrem Vortrag erwarten?
Ich zeige, wie Simulationen helfen können, Bauteile effizienter und nachhaltiger zu entwickeln. Oft werden mechanische und prozesstechnische Berechnungen getrennt voneinander durchgeführt. In meinem Referat geht es darum, diese beiden Simulationen miteinander zu verbinden. So können wir schon in einer frühen Phase erkennen, wie sich Design und Herstellungsprozess gegenseitig beeinflussen – und dadurch Zeit, Material und Kosten sparen.
Was verstehen Sie unter einer «durchgängigen Simulationskette» – und weshalb ist sie für die Auslegung von Spritzgiessbauteilen so zentral?
Durchgängig bedeutet, dass alle Berechnungsschritte ineinandergreifen. Wenn Struktur und Prozess gemeinsam betrachtet werden, entsteht ein Gesamtbild, das wesentlich präzisere Aussagen erlaubt. Eine gute Mechanik nützt nämlich wenig, wenn das Bauteil so gar nicht produziert werden kann. Erst die Kombination beider Sichtweisen führt zum optimalen Resultat, sowohl technisch als auch wirtschaftlich.
Welche Herausforderungen bestehen, wenn es darum geht, Simulationen nahtlos in den gesamten Entwicklungsprozess zu integrieren?
Eine der grössten Hürden sind die Materialdaten. Diese müssen exakt erfasst und auf den jeweiligen Kunststoff abgestimmt sein. Dazu kommen komplexe Einflüsse wie Reibung oder Toleranzen, die das Verhalten eines Bauteils verändern. Und: Viele Simulationsprogramme sind heute noch nicht optimal auf Automatisierung ausgelegt. Schnittstellen und Python-APIs machen das zwar einfacher, aber eine komplett vernetzte Lösung braucht weiterhin einiges an Entwicklungsarbeit.
Gibt es bereits praktische Beispiele, bei denen eine durchgängige Simulationskette den entscheidenden Unterschied gemacht hat?
Ja, in Projekten mit Industriepartnern konnten wir den Materialaufwand um rund 25 Prozent reduzieren, ohne Abstriche bei der Funktion zu machen. Das zeigt, wie gross das Potenzial ist, wenn man Bauteile und Prozesse gemeinsam optimiert. Die grösste Hürde liegt derzeit oft noch bei der Integration in bestehende Systeme oder bei Lizenzfragen. Doch die Entwicklung schreitet schnell voran und mit neuen Technologien eröffnen sich weitere Möglichkeiten.
Ein Stichwort, das dabei oft fällt, ist Künstliche Intelligenz. Sie gilt als Schlüsseltechnologie der Zukunft. Wo sehen Sie konkrete Anwendungsmöglichkeiten in der Kunststofftechnik?
Anwendungsmöglichkeiten gibt es viele. Besonders spannend ist der Einsatz von KI im Wissensmanagement, etwa über lokale Sprachmodelle, die auf firmeneigenen Daten basieren. So lässt sich das in unzähligen Dokumenten vorhandene Wissen gezielt abrufen. Auch in der Produktentwicklung ist KI hilfreich: Aus früheren Projekten können Rückschlüsse auf neue Designs gezogen werden. In der Produktion wiederum lassen sich mit KI Anomalien frühzeitig erkennen, bevor die Produktivität sinkt.
Zur Person
Prof. Dr. Mario Studer ist Fachbereichsleiter Simulation & Design und Dozent für Maschinentechnik und Innovation am Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK) der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Nach seiner Berufslehre als Kunststofftechnologe bei Geberit studierte er Maschinenbau an der HSR, der heutigen OST, absolvierten den Master an der ETH Zürich und promovierte an der RWTH Aachen. Mehrere Jahre war er in der Industrie tätig, unter anderem in der Verfahrensentwicklung und Prozessüberwachung bei Geberit.
Gibt es schon erfolgreiche Beispiele, wie KI Prozesse in der Kunststofftechnik verbessert hat?
Ja, durchaus. Viele Maschinenhersteller nutzen bereits intelligente Algorithmen, um Prozesse zu stabilisieren. In Simulationsprogrammen ist KI ebenfalls schon integriert, beispielsweise um fehlende Werkstoffdaten zu ergänzen oder Designvorschläge zu machen. Selbst Chatbots wie der ANSYS Assistant unterstützen heute bei der Arbeit im Tool. KI ist also längst da, sie läuft oft einfach im Hintergrund.
Wie verändert KI die Arbeit von Ingenieurinnen und Entwicklern? Wird sie zur Konkurrenz oder zur Unterstützung?
Ich sehe KI in erster Linie als Unterstützung im Sinne von Effizienzsteigerung. Sie kann Routineaufgaben übernehmen und sorgt dafür, dass Informationen schneller verfügbar sind. Das schafft Freiraum für kreative und analytische Tätigkeiten. Aber: Ingenieurwissen bleibt unverzichtbar. Nur wer versteht, was hinter den Berechnungen steht, kann die Vorschläge einer KI richtig einordnen. Zudem sollten Unternehmen darauf achten, sich nicht zu sehr von grossen Plattformen abhängig zu machen, zum Beispiel wenn es um Lizenz- oder Cloudmodelle geht.
Welche Voraussetzungen müssen Unternehmen schaffen, um KI sinnvoll einsetzen zu können?
Die Basis ist eine saubere Digitalisierung. Daten müssen strukturiert und zentral verfügbar sein. Ebenso wichtig ist, dass die Mitarbeitenden geschult werden und verstehen, wie die Tools funktionieren. Nur dann können sie ihr Potenzial auch ausschöpfen. Und schliesslich braucht es klare Regeln zu Datensicherheit und Kosten, um Vertrauen in die Systeme zu schaffen.
Welche Chancen eröffnen sich insbesondere für Schweizer KMU?
Viele Schweizer Unternehmen verfügen über moderne Infrastrukturen, was in Bezug auf Digitalisierung ein grosser Vorteil ist. Mit einer konsequenten Digitalisierung können sie Prozesse transparenter machen, Qualität steigern und ihre Innovationskraft stärken. KI kann dabei helfen, Ressourcen gezielter einzusetzen, etwa indem sie Muster in Produktionsdaten erkennt oder Entwicklungsschritte automatisiert.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen: Wie werden sich Simulation und KI in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf die Kunststoffindustrie auswirken?
Ich erhoffe mir, dass Simulationsmodelle deutlich robuster und einfacher handhabbar werden. Ingenieurinnen und Ingenieure werden weniger Zeit für den Aufbau der Modelle brauchen und sich stärker auf die Analyse und Interpretation konzentrieren können. KI wird zum Werkzeug erster Wahl bei Optimierungsaufgaben.
Welche Kompetenzen sollten junge Ingenieurinnen und Ingenieure heute erwerben, um auf diese Entwicklung vorbereitet zu sein?
Die technischen Grundlagen bleiben das Fundament. Wer versteht, wie Materialien, Prozesse und Berechnungen zusammenhängen, kann die Ergebnisse einer KI beurteilen. Zusätzlich wird ein Basiswissen in Datenanalyse, Programmierung und maschinellem Lernen immer wichtiger. Diese Kombination aus Ingenieurverstand und digitaler Kompetenz wird künftig entscheidend sein.
Was möchten Sie den Fachpersonen an der Swiss Plastics Expo mit auf den Weg geben?
Die Entwicklung im Bereich KI gerade auch bei den unterstützenden Softwaretools schreitet rasant voran. Es lohnt sich, am Ball zu bleiben, Neues auszuprobieren und sich inspirieren zu lassen. Die Swiss Plastics Expo bietet dafür eine ideale Gelegenheit.